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Wesenstest zur Zuchtzulassung

Gedanken zum Wesenstest (KVB) der Zuchtzulassungsprüfung SKNH

Folgender Beitrag wurde im Bulletin des Schweizerischen Klub für nordische Hunde SKNH in der Juli-Ausgabe veröffentlicht.


Foto Esther Maier
Foto Esther Maier

Zuchtzulassungsprüfung Schweizerischer Klub für nordische Hunde vom 18.6.2023

 

Unser Anliegen ist es, mit unserer Zuchtstätte für Suomenlapinkoira «Lapinsielun Kennel» zum Erhalt dieser ursprünglichen Rasse beizutragen mit dem Wohl des Hundes im Vordergrund. Die Vielfalt dieses ursprünglich robusten Arbeitshundes, der so nahe an der Natur ist und eine beeindruckende eigenständige Arbeit geleistet hat und gleichzeitig so eng mit seinen Menschen zusammengelebt hat, fasziniert uns.

 

Eine Rasse international zu erhalten, bedeutet, dass es auch internationale Richtlinien geben muss, an welche Züchter sich zu halten haben. In den jeweiligen Ländern sind dann die Vorgaben für die Zucht noch individueller gestaltet und darauf aufgebaut sind auch die Ankörungen, um rassetypische Hunde zur Zucht zuzulassen. Dass gewisse Merkmale standardisiert sind und der Hund in einer Exterieur-Beurteilung begutachtet wird, ist deswegen auch sinnvoll. Der Lapinkoira ist diesbezüglich ja sehr vielseitig, und das wird, zu meiner Freude, auch berücksichtigt.

 

Schön ist, wenn man für die Exterieur-Beurteilung einen Richter zugeteilt bekommt, der empathisch mit dem Hund umgeht. Wir durften diesbezüglich eine schöne Erfahrung machen und unsere Áilu wurde von der Richterin respektvoll und geduldig behandelt. Die Richterin hat sich ihr körpersprachlich korrekt genähert, wenn sie Áilu anfassen musste und hat nicht darauf bestanden, dass sie bei Fuss laufen musste, um die Gangarten zu beurteilen und auch, dass Áilu kein perfektes Steh ausführte war kein Problem. Dieselbe gute Erfahrung durften wir vorgängig bereits beim Ausmessen und beim Kontrollieren des Gebisses machen.

 

Unsere Hunde werden empathisch und auf Augenhöhe in Zweiwegkommunikation geführt. Wir sind präventiv unterwegs, deshalb fördern wir ihre Selbstwirksamkeit und ihr eigenständiges Denken gezielt. Sie kennen keine Hundeplätze und keine Unterordnungsübungen. Deswegen schätzen wir oben genannten Umgang sehr.

 

Für unsere Hündin Áilu, die selbstbestimmt aufwachsen und ihr Wesen voll entwickeln und entfalten durfte, hat vieles an diesem Tag keinen Sinn gemacht. Und trotzdem hat sie alles mitgemacht – nicht immer so, wie es sich wohl die meisten gewohnt sind, aber immer freundlich und bemüht.

Foto Esther Maier
Foto Esther Maier

Und damit komme ich zur Körverhaltensbeurteilung. Ich wusste, dass die KVB die grösste Herausforderung für uns werden würde an diesem Tag. Nicht etwa, weil Áilu nicht wesensfest wäre oder gar ängstlich oder aggressiv. Sondern weil dieser Wesenstest, und insbesondere die Art der Beurteilung, über das Wesen des Hundes wenig aussagt.

 

Ziel wäre es, zu eruieren, ob ein Hund sicher ist und rassetypische Wesenszüge hat oder ob er überaus ängstlich oder aggressiv ist, was zum Zuchtausschluss führen würde. Hier gibt es bereits die erste Diskrepanz. Man weiss heute, dass das Wesen eines Hundes nur zu ca. 9% durch die Gene bestimmt wird. Der grösste Teil der Wesensentwicklung ist der Epigenetik geschuldet, wobei der Züchter einen entscheidenden Einfluss hat durch seinen Umgang mit den Hunden. Hierzu gibt es diverse Studien und ich habe diesbezüglich eine kleine Zusammenfassung eines von mir besuchten Seminares über Epigenetik auf unserer Homepage veröffentlicht: https://www.lapinsielun.ch/news/

 

Meiner Ansicht nach kann das Wesen eines Hundes nicht auf einem eingezäunten Platz mit dem Durchlaufen eines vorgegebenen Parcours beurteilt werden. Ebenso wenig erkennt man das wahre Wesen eines Hundes, in unnatürlichen, gestellten Situationen. Hunde, die in Unterordnung geführt werden, führen diesen Parcours wie gewünscht, leinenlos und in korrekter Abfolge aus. Sie bleiben im Kreis, wenn eine Menschengruppe sich nähert und kreuzen fremde Hunde mit praktisch keiner Distanz. Was aber sagt uns das über das Wesen dieser Hunde aus? Sie befolgen Anweisungen.

 

Sind das sichere Hunde? Man weiss es nicht. Ich zitiere «Ein guter Gehorsam führt nicht dazu, dass ein Hund im Alltag sicher handeln kann.» (Nicole Fröhlich, NF footstep)

Eine Wesensbeurteilung auf einem für den Hund alltäglichen Spaziergang mit Alltagssituationen, auf dem er individuell unterstützend geführt wird, wäre deutlich sinnvoller. Sein wahres Wesen und ebenso jenes des Züchters würde in einem natürlichen und lebensnahen Umfeld zum Vorschein kommen.

 

Oder aber man lässt den Hund auf diesem eingezäunten Platz das Gelände eigenständig erkunden und beobachtet dabei, wie er sich verhält. Genau das hat Áilu getan. Bevor es losging und währenddem mein Mann, der sie an diesem Tag führte, befragt wurde, durfte sie bereits allein auf dem Gelände sein. Sie hat den ganzen Platz untersucht und sich mit ausnahmslos allem, was auf dem Platz war, auseinandergesetzt. Und zwar in Ruhe, bedacht, neugierig und ohne Scheu. Absolut aussagekräftig, was ihr Wesen anbelangt.

 

Nur leider wurde sie da gar nicht beobachtet und beurteilt. Der eigentliche Wesenstest fing erst danach an. Und beurteilt werden kann der Hund anscheinend nur, wenn er den gesamten Parcours in der vorgegebenen Reihenfolge exakt so ausführt, wie es im Beurteilungsbogen steht. Was wieder darauf zurückführt, dass der Hund Anweisungen befolgt, was uns nicht wirklich Auskunft über sein wahres Wesen gibt.

 

Es wird nicht berücksichtigt, dass der Hund sich im Voraus bereits mit dem Gelände beschäftigt hat, wobei man genau da sehr gut erkennen könnte, was der Hund für ein Wesen hat. Auch wird nicht berücksichtigt, dass ein Hund, der bereits fast zwei Stunden Autofahren musste, das Ausmessen und die Exterieur-Beurteilung hinter sich hat und das Wesenstest-Areal (das an der prallen Sonne war) schon eigenständig erkundet hat, müde ist.

Es wird verlangt, dass der Hund mit einer ihm fremden Person spielen soll. Eine Person, die ihn auch mehrmals versucht anzufassen, obwohl der Hund höflich ausweicht und deutlich sagt, dass dies für ihn übergriffig ist. Spielen mag er nicht, vielleicht auch einfach nur weil es zu heiss ist. Was sagt uns das denn über das Wesen dieses Hundes aus? Er hat sich hündisch korrekt und sehr freundlich verhalten.

Es wird verlangt, dass der Hund durch den Bogen mit Flatterbänder geht. Wenn der Hund nicht durchgehen möchte, sich aber daneben hinstellt, keine Angst vor den Flatterbändern zeigt, obwohl sie ihm durch den Wind sogar um den Kopf wirbeln, wird trotzdem immer und immer wieder von ihm verlangt, dass er durchgehen muss.

Wenn die Figuranten auf den Platz kommen und sich frei bewegen, die einen von ihnen den Hund immer wieder anzufassen versuchen und der Hund sich zwar interessiert zeigt, sich aber rausnimmt, niemanden belästigt und das Ganze einfach beobachtet, heisst es, so könne man ihn nicht beurteilen. Dabei zeigt der Hund auch hier ein freundliches und äusserst höfliches normales hündisches Verhalten.

Es wird verlangt, dass der Hund ohne Leine bei seinem Halter in der Mitte eines Menschenkreises bleibt, welcher sich mal leise, mal laut um Hund und Halter schliesst. Diese Situation stellt für jeden Hund eine Bedrohung dar. Man weiss heute, dass solche Tests sich negativ auf einen Hund auswirken können oder zumindest, dass man einen Hund in so einer Situation nicht festhalten soll. Jeder eigenständig denkende Hund, der normales hündisches Verhalten zeigt, wird diesen Kreis von sich aus verlassen. Aber am Wesenstest darf er das nicht, er muss dann festgehalten werden vom eigenen Halter in einer Situation, die erwiesenermassen traumatisch für den Hund sein kann.

 

Die Situation mit dem fremden Hund mag ich schon fast gar nicht mehr erwähnen. Aber auch sie ist längst überholt. Nach neuesten Erkenntnissen, die so neu gar nicht mehr sind, weiss man heute so viel über hündische Kommunikation und hündisches Verhalten, so dass klar ist, dass sich fremde Hunde nicht mit ein bis zwei Metern Distanz frontal kreuzen und sich dabei wohl fühlen. Hunde, die kommunizieren dürfen, oder die vom Wesen her sehr deutlich sind, drücken sich in so einer Situation entsprechend aus.

Foto Esther Maier
Foto Esther Maier

Nebst dem, dass Áilu die Welt nicht mehr verstanden hat, ob diesen unnatürlichen Dingen, die an diesem Tag passiert sind, war sie danach auch stark in ihrem Vertrauen zu meinem Mann beeinträchtigt. Sie hat nicht verstanden, wieso er sie in teilweise unerträgliche und für Hunde bedrohliche Situationen gebracht hat. Kann das wirklich das Ziel der KVB sein? 

Dass man in der heutigen Zeit, mit all den Erkenntnissen, die man in den letzten Jahren über Hunde erzielt hat, immer noch solche unfaire und nicht hundegerechte Tests durchführt, entzieht sich meinem Verständnis. Es stellt sich die Frage: was sagt uns denn ein Test in dieser Form über das Wesen des jeweiligen Hundes wirklich aus? Zählt die Wissenschaft, wenn es die Empathie schon nicht tut, denn gar nichts?

 

Áilu hat den Stempel «bestanden» erhalten, jedoch benötigte es dafür einiges an Intervention. Obwohl sie sich während dem ganzen 27-minütigen Wesenstest stets freundlich und äusserst höflich gezeigt hat. Und obwohl sie keine Angst und keine Aggressivität zeigte. Es kann nicht sein, dass man darüber diskutieren muss, ob ein Hund diesen Test bestanden hat, weil er bellt, wenn es ihm zu viel ist, weil er nicht mit fremden Personen spielen mag, oder er gewisse für ihn sinnlose Übungen einfach nicht machen möchte. Ein Hund, der sich in der Gruppe der Figuranten dermassen höflich und freundlich zeigte, obwohl er Übergriffigkeiten erdulden musste, der keine Angst zeigte vor Gegenständen und Geräuschen und insgesamt über alle Bereiche absolut normales hündisches Verhalten an den Tag legte. Es gab keine Situation, die nicht beurteilbar war.

Den Wesenstest zur Zuchtzulassung sollte man, mit all den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Hunde und ihr Verhalten und mit dem heutigen Wissen über den Einfluss der Epigenetik auf die Wesensentwicklung, unbedingt überdenken. Ein Test in dieser Form ist nicht mehr zeitgemäss. Er kann sogar gefährlich werden. Ich bin gerne bereit mit dem SKNH diesbezüglich zusammenzukommen und über Möglichkeiten für alternative und zeitgemässe Wesensbeurteilungen zu sprechen.

 

Ich danke dem SKNH für die Organisation und die Durchführung der Ankörung vom 18.6.2023, was jedes Mal vollen Einsatz von allen Beteiligten erfordert. Ich würde mich freuen, wenn neuzeitliches Gedankengut in Bezug auf Hunde seinen Platz in unserem Klub finden darf.

 

Yvonne Fuchs

LAPINSIELUN KENNEL & COACHING

Zert. NF Trainerin für Hunde und ihre Menschen

NF Welpen-/Junghundeleiterin i.A.

Inhaberin FCI-Zuchtstätte Lapinsielun für Suomenlapinkoira

Foto Esther Maier
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Kommentare: 4
  • #1

    Philou (Donnerstag, 20 Juli 2023 11:50)

    Respekt mein Schatz; klare Haltung mit sehr respektvollen Worten auf den Punkt gebracht.

  • #2

    Reini (Donnerstag, 20 Juli 2023 12:19)

    Super, dieses Gedankengut sollte unbedingt in Zukunft berücksichtigt werden und das bei jeder Ankörung !

  • #3

    Martin Bodmer (Donnerstag, 20 Juli 2023 14:06)

    Danke für dieses klare statement zugunsten eines eigenständigen Wesens. Denn das sollte ein Hund doch sein. Für alles andere gibt es Marionetten.

  • #4

    Ursula Riedler (Freitag, 21 Juli 2023 08:53)

    Toller Atikel. Klar, auf den Punkt gebracht, mit konkreten, zeitgemässen, artgerechten und wissenschaftlich fundierten Inputs für ein zukünftigess Miteinander von Hund und Mensch, das Sinn macht. Danke!

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