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Über Ganzheitlichkeit und Epigenetik

Das Wort "Ganzheitlich" hört und liest man heutzutage oft. Für uns bedeutet, in unserer Zucht ganzheitlich zu arbeiten, dass wir alle Faktoren, die eine Rolle spielen, mit einbeziehen. Dazu gehören unsere Hunde, ihre mentale und körperliche Gesundheit, ihr Umfeld, unser Lebensstil, unsere eigenen Persönlichkeiten, ein fundiertes Fachwissen und das Bewusstsein über die Verantwortung, die wir tragen.

 

Was "Ganzheitlich" in der modernen Hundezucht bedeutet und weshalb darauf die Epigenetik einen immensen Einfluss hat, möchte ich Ihnen in diesem Artikel ein wenig näher bringen. Hundezucht ist nämlich viel mehr als "nur" Genetik. Das Wissen über den grossen Einfluss der Epigenetik auf die Wesensentwicklung verlangt nach einem Umdenken in der Rassehundezucht. 

 

Epigenetik - was darf man darunter verstehen?

 

Epigenetik ist der zweite Code, eine Ergänzung zur Genetik. Ins Detail gehen wir in diesem Artikel nicht, aber zu einem allgemeinen Verständnis, könnte man sagen, Epigenetik ist das, was Hunde zu dem macht, was sie sind. Damit ist die Persönlichkeit, die mentale Gesundheit und ihr Wesen gemeint.

 

Epigenetik verleiht einer Zelle eine Identität und ein Gedächtnis, sie ist vererblich und reversibel. Epigenetik bewirkt ob Zellen ein- oder ausgeschaltet werden können, dies wird von Signalen von aussen beeinflusst. So werden Zellen verändert ohne dass Gene verändert werden. Erworbene Umwelteinflüsse, die nicht im DNA-Code gespeichert werden, die aber die Zellen steuern.

 

Epigenetik vererbt sich nicht wie Genetik, die relativ schnellen Einfluss auf äussere Merkmale hat wie Grösse, Fellfarbe etc. oder eben mit Gendefekten auf die körperliche Gesundheit. Epigenetik wird von vielen Faktoren beeinflusst und was sie für die Zucht so äusserst spannend macht, ist, dass sie veränderbar ist.

 

3 kurze und einfache Beispiele, was Epigenetik ist:

Beispiel 1: Die Leber eines 10 jährigen Hundes, weiss, was seine Mutterhündin damals während der Trächtigkeit gegessen hat.

 

Beispiel 2: Welpen, die von ihrer Mutter fürsorglich umsorgt werden, bilden im Gehirn viele Cortisol Rezeptoren und sind somit zeitlebens nicht so stressanfällig.

 

Beispiel 3: Für den perfekten Deckrüden, wird eine Zuchthündin quer durch die Welt geflogen und hat dabei Stress - dies bewirkt das Gegenteil von Beispiel 2 und die Welpen dieser Hündin werden zeitlebens stressanfälliger sein, da der Grundstein dafür durch diese Erfahrung der Mutter in den Zellen der Welpen gelegt ist.

Die moderne Hundezucht

 

Man weiss heute, dass die Epigenetik einen weitaus grösseren Einfluss auf die Persönlichkeit, das Verhalten und das Wesen hat, als die Genetik. Gene für rassetypisches Verhalten gibt es nur sehr wenige. Tatsächlich kann nur ca. 9% des Verhaltens durch genetische Zucht beeinflusst werden.

Der Rest wird beeinflusst durch die Epigenetik in Form von:

  • Umwelt und Haltungsbedingungen

Der Umgang mit dem Hund, Entspannung, Ruhe und Schlaf, Ernährung, Aktivitäten, etc.

  • Epigenetischer Vererbung und perinataler Programmierung 

Lebensstil und Erfahrungen der Vorfahren, Verlauf des Deckaktes und der Trächtigkeit, Geburt und Aufzuchtbedingungen

 

Hundezucht ist also viel mehr als "nur" Genetik. Die Verhaltensentwicklung wird vor allem geprägt vom Umgang mit den Hunden, von den Umwelteinflüssen, von der Bindung und dem sozialen Umfeld. 

 

Ob die Mutterhündin ein entspanntes Leben hat und sie liebevoll behandelt wird, wie sie sich beim Deckakt und während der Trächtigkeit fühlt und was sie in dieser Zeit erfährt, ob sie eine sichere und fürsorgliche Mutter ist für ihre Welpen, das alles prägt die Epigenetik der Welpen nachhaltig. Genau so sieht es mit dem Deckrüden aus. Das Sperma des Deckrüden enthält epigenetische Prägungen aufgrund seiner Erfahrungen im Leben und diese werden beim Deckakt an die Welpen übergeben.

 

Klassische Hundezucht beschränkt sich auf das genetische Erbe.

Die moderne Hundezucht bezieht das genetische Erbe sowie die Umwelt (Haltungsbedingungen) und die Vergangenheit (Lebenssituation der Vorfahren) mit ein. Die Genetik und die Epigenetik. Ganzheitlich.

 

Die grosse Verantwortung der Züchter

 

In der perinatalen Phase haben wir als Züchter einen grossen Einfluss auf die Entwicklung des Wesens der Welpen. Die perinatale Phase umfasst die Trächtigkeit, die Geburt und die ersten Lebenswochen.

 

In dem wir optimale Haltungsbedingungen für die Mutterhündin haben und optimale Bedingungen für die Aufzucht generieren, beeinflussen wir die Resilienz der Welpen nachhaltig. 

 

In dieser Phase spielt alles eine wichtige Rolle, da während dieser Zeit die Epigenetik am stärksten beeinflussbar ist und sie in den Zellen die wichtigen Grundsteine legt. Epigenetik ist zwar reversibel, aber später wird sie nicht mehr so leicht zu verändern sein, wie während der perinatalen Phase. 

 

Die perinatale Phase gehört zu einer sehr sensiblen Phase und somit wird alles, ob gut oder schlecht, prägend in den Zellen verankert. Wir tragen als Züchter die Verantwortung, dass die Mutterhündin ein persönlichkeitsgerechtes Leben in Sicherheit und Geborgenheit leben kann. Dass wir Deckrüden auswählen, die ein stressarmes Leben in einem sozial sicheren Umfeld leben dürfen. Dass der Deckakt niemals erzwungen wird. Dass wir zu der Mutterhündin eine gute Bindung haben, sie uns vertraut und sich sicher fühlt. Dass wir die Welpen individuell betrachten und wir sie keinem unnötigen Stress aussetzen und sie auch nicht mit Reizen überfluten und überfordern, was leider immer noch viel zu oft passiert. 

(Aussage von Dr. Iris Schöberl: Reizüberflutung ist Misshandlung, da der Hund nicht nein sagen kann. Reizüberflutung kann zu Traumata führen und ist somit tierschutzwidrig) 

 

Nach diesen Erkenntnissen ist zum Beispiel auch eine Welpenabgabe mit 8 Wochen ein fragwürdiger Zeitpunkt. Ungefähr zu dieser Zeit befindet sich der Welpe in einer sensiblen Phase, auch Angstphase genannt (hier finden sie den Überblick "Sensible Phasen in der Entwicklung"). In dieser Zeit wird die Epigenetik wieder sehr anfällig für Prägungen. Und der Übergang in eine neue Familie bedeutet für den Welpen immer ein Trauma. Während den diversen sensiblen Phasen in der Entwicklung müssen wir den Welpen Schutz und Sicherheit geben und Stress vermeiden.

 

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse fordern uns Züchter dazu auf, ganzheitlicher und individueller zu denken. Unsere Verantwortung beinhaltet sehr viel mehr, als nur "gute" Gene auszuwählen und die Aufzucht nach Zuchtreglement zu vollbringen. Den wohl grössten positiven Einfluss auf das Wesen der Hunde haben wir, in dem wir empathisch mit unseren Hunden leben, auf sie eingehen und sie ein entspanntes, friedliches Leben führen dürfen. 

Was kann man daraus schliessen?

 

Es darf ein Umdenken in der Rassehundezucht stattfinden. Insbesondere muss man diesbezüglich auch Wesenstests bei Zuchtzulassungsprüfungen überdenken. Ein Wesenstest ist nicht per se aussagekräftig, wenn man weiss, dass genetisch bedingtes Verhalten nur einen so kleinen Anteil ausmacht und die Epigenetik, die einen wesentlich grösseren Einfluss auf das Verhalten hat, veränderbar ist. 

 

Und wir müssen uns bewusst sein, dass wir als Züchter einen immensen Einfluss haben auf die Verhaltensentwicklung der Welpen. Dass wir neben der Genetik unbedingt auch die Epigenetik mit einbeziehen müssen und, wie bereits erwähnt, versuchen müssen, ganzheitlicher und individueller zu denken. 

 

"Don't blame the dogs but blame the dog breeders."

Eine Aussage von Dr. Peter Spork, die ich unterstreichen möchte.

Wir Züchter sind in der vollen Verantwortung den Grundstein zu legen für mental gesunde und resiliente Hunde. Mit unserem Verhalten und unserem Handeln können wir Hunde im Wesen nachhaltig verändern - generationsübergreifend.  Ein bindungsorientierter Umgang mit sozialer Unterstützung ist somit umso dringlicher und wertet Macht- und Dominanzverhalten gegenüber Hunden noch mehr ab. 

 

Dieser Artikel stützt sich unter anderem auch auf das Seminar "Die neue Welt der Epigenetik - Wie Hunde werden, wie sie sind." von Dr. Iris Schöberl (www.beratungundtraining.at) und Dr. Peter Spork (www.peter-spork.de).

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